Rache
Ich greife ein paar Male vergebens zum schwarzen Kamm im Badezimmer und sobald er endlich in meiner Hand liegt, blicke ich ihn angeekelt an. "Wozu soll ich mich frisieren, wenn es nichts zu kämmen gibt?", murmle ich und lasse dennoch die Zinnen des Kamms krampfhaft und vorsichtig über die spärlich vorhandenen Haarbüscheln gleiten. Ich erspare mir den Blick in den Spiegel. Stattdessen hänge ich einem Traum nach und sage laut lachend: "Ich bin ein Womanizer! Mir kann keine widerstehen und du auch nicht..." Ich bewege meine Hüfte in eindeutiger Geste. Der Kamm dient mir jetzt als verlängerter Zeigefinger und ich zeige auf eine eingebildete Person. Ich sehe ein spanisches Rasseweib vor mir. Sie hat langes, dunkelbraunes Haar und es ist zu einem dicken Zopf gebunden. Ihre Figur ist an den richtigen Stellen üppig, dort wo ich es mag. Dann ist der schöne Traum vorbei. Meine Traumfrau verblasst, verflüchtigt sich ins Nichts. "Verdammt! Was ist nur aus mir geworden?" Ich stelle mich der Realität und sehe in den Spiegel. Ich kann mein Abbild aber nicht lange ertragen. Ich sehe weg, indem ich die Augen schließe und presse meine Lider fest zusammen. Es schmerzt und der Schmerz ist ein guter Schmerz. Trotzdem nicht gut genug. Ich versuche vor mir davonzulaufen, versuche es wieder und wieder. Aber die Wirklichkeit holt mich ein. Immer, ausnahmslos. "Scheiße!" Ich bekomme einen Backflash. Das ist mir nicht fremd, sondern unbarmherzig vertraut. Ich spüre wieder die Hitze, schmecke den Rauch auf meiner pappigen, klebrigen Zunge und rieche das verbrannte Plastik. Der Qualm reizt meine Lunge. Ich beginne zu husten. Genau wie vor fünf Jahren. Ich reiße meine Augen auf, klammere mich an das Spülbecken im Badezimmer. Mein Kamm fällt zu Boden. "Atme! Du musst ruhig atmen, Junge...", befehle ich meinen Körper und lege eine Hand auf die stoßweise flatternde Brust. "Ich habe überlebt...", und das ist alles was zählt? Meine malträtierte Haut glänzt im Angesicht meines Schweißes. "Ich habe überlebt!" Dann beginne ich zu weinen. Ich beuge mich über das Spülbecken und meine Tränen tropfen in den dunklen Abfluss. Ich beginne mich zu beruhigen. Der schwarze Ausguss, dieses stinkende, kleine Loch hat einen beruhigenden Einfluss auf mich. Mein Atem wird gleichmäßiger und mein Weinen geht ins Schniefen über. Ich nehme ein Handtuch. Es ist schmutzig und sollte gewaschen werden. Ich klemme es irgendwie über den Spiegel, verwehre mich aufs Neue meiner Realität, will verdrängen. Ich blicke auf meine Zahnbürste. Die Borsten sind in verschiedene Richtungen gestellt. Sie sollte ausgetauscht werden. Doch ich verzichte sowieso auf das Zähneputzen. Mein Gebiss ist nicht mehr tadellos und deswegen erspare ich mir diese Mühe. Selbst meine Kleidung ist nicht schön und modisch. Ich suche sie nach dem Scheuerungsgrad aus. Sie soll meine dünne Haut so wenig wie möglich reizen.
Der Kamm liegt in einer Ecke am Boden. Ich hebe ihn nicht auf. "Warum habe ich mich gekämmt?", frage ich mich und finde doch keine wahrheitsgetreue Antwort. Vielleicht will ich einfach nicht von der Vergangenheit lassen, trauere meinem alten Leben nach, als es mir noch soviel zu bieten hatte und ich nur zugreifen musste. Vielleicht. Ich blicke auf meine Hand. Sie war einmal gepflegt und maskulin. Frauen haben sich dank ihr gewunden, haben gestöhnt und mich lustvoll angefleht. Jetzt kann ich sie kaum mehr bewegen. Trotzdem will ich sie zu einer Faust ballen. Meine verwachsene Haut weigert sich und protestiert. Ich schreie vor Schmerzen, ehe ich die Finger wieder entspanne. Ich habe den zweiten OP-Termin verpasst. Sie wollten mich wieder unters Messer legen. Man hätte mir stückweise neue, gesunde Haut transplantiert. Doch ich will nicht. Sie können mir mein altes Leben nicht mehr zurückgeben. Niemals. Es liegt hinter mir. Jetzt verlasse ich das Badezimmer und öffne den Kleiderschrank in meinem Schlafzimmer. Dort steht ein medizinisch ausgerüstetes Bett. Ein Bett für Brandopfer. Ich will es nicht mehr sehen müssen, nie wieder. Ich streife ein T-Shirt über und verziehe gepeinigt das Gesicht, ehe sich das Gleiche bei der restlichen Kleidung wiederholt. Dann stehe ich in meiner Küche. Diesmal kann ich nicht ignorieren, nehme den Esstisch wahr. Die gleiche Hand von vorhin gleitet über das teure und seltene Tropenholz. Es ist Schmugglerware und ich war einmal sehr stolz darauf. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. "Dort hat sich schon lange keine Frau mehr gerekelt und sich unter deinen Stößen den Rücken platt gedrückt. Hahahaaaaa!" Die Stimme in meinem Kopf klingt wie meine und trotzdem gehört sie nicht zu mir, nicht mehr. "Wer zuletzt lacht, lacht am besten!" Ich lache nicht. Ich zwinge meinen Blick weg, sehe auf eine leere Stelle. Dort stand einmal mein Designerherd, ein Gasherd. Ich habe ihn ausbauen lassen, denn er hat mir Angst gemacht. Das offene Feuer habe ich nicht mehr ertragen können. Ich humple auf eine Schublade zu. Ich ziehe die Lade auf. Ganz hinten liegt ein goldenes Zippo. Das Feuerzeug habe ich von einer der Frauen geschenkt bekommen. Sie hat mich ständig mit Geschenken überhäuft, wollte mich an sich binden, hat geklammert. Ich habe die meisten ihrer Geschenke angenommen und sie dafür gehasst. Ich war ein arrogantes Arschloch, habe sie ausgenutzt und sie hat noch mehr geklammert. Sie hat an eine gemeinsame Zukunft geglaubt. Ich nicht. Jetzt habe ich meinen Willen. Ich bin ganz alleine. Ich nehme das Feuerzeug an mich, spüre das Gewicht in meinen beiden Händen und öffne umständlich die Klappe. Das Klicken jagt mir einen perversen Schauer über den Rücken. Ich versuche mit meinem Daumen das Rad zu bewegen. Es klappt erst beim vierten Versuch. Dann ist das Feuer zu sehen. Ich zucke zurück, hätte fast das Feuerzeug fallen gelassen. Doch ich halte es noch immer in meinen Händen, starre in die Flamme. Sie hypnotisiert mich. Mein Gaumen hat sich in Schmirgelpapier verwandelt. Ich registriere es nicht. Für einen langen Moment gibt es nur mich und diese Flamme. Bis ich die Klappe wieder schließe und erleichtert ausatme. Dann lächle ich gehässig. Ich werde meine Angst überwinden müssen, werde daran arbeiten. "Brennen, ihr werdet alle brennen!" Denn manche Dinge müssen einfach getan werden.