[quote=Celaen]Was denkt ihr darüber? Gibt es Grenzen der Fantasie die es unmöglich machen, oder es unmöglich machen sollten, einen mehr oder weniger "exotischen" Charakter zu spielen? [/quote]
Ich glaube nicht an Grenzen der Fantasie. Im eigenen Kopf sollte grundsätzlich alles möglich, erfahrbar und machbar sein und sei es noch so abstrus oder unvorstellbar. Vielleicht ist unser Hirn heutzutage das einzige Refugium, in dem wir noch wirklich frei sein können
Zu Hochzeiten der HdR-Filme fand ich auch die Umsetzung der meisten Fantasy-Ideen ins [lexicon]Rollenspiel[/lexicon] nicht weiter problematisch. Wuselige kleine Hobbits, spitzohrige Elfen, edle Recken mit Schwert. Wer klein und schwach war, wurde gerettet, wem Unrecht geschah, wurde gerächt und die Bösen am Ende geschlagen (im Film) oder als Witzfiguren verlacht (im Spiel).
Das tat keinem weh, befriedigte das Gerechtigkeitsempfinden und spielte vor allem mit sehr abstrakten Geschöpfen und Problemen, die unseren heutigen Alltag wenig berühren. Ich vermute einfach mal, dass die wenigsten Rollenspieler dieses Servers in der Realität Drachen erschlagen, zu epischen Abenteuerquests zur Rettung der Welt aufbrechen oder Feuerbälle vom Himmel regnen lassen (Bitte um Korrektur, falls doch
)
Das Genre hat sich seit der Zeit aber stark verändert und auch geöffnet. Reine Geschichten im klassischen Fantasystil sind selten geworden, es findet mehr und mehr eine Vermischung der verschiedenen Kategorien statt, so dass in "Fantasy" mittlerweile auch oft größere Anteile von Drama, Thriller oder auch Horror stecken. Deshalb kann ich nachvollziehen, wenn ein Leser, der sich ein Fantasybuch kauft, beim Lesen das Gefühl bekommt er habe für sein Geld nicht das bekommen, was er wollte (nämlich "Fantasy"). Ebenso wäre mir verständlich, wenn ein Rollenspieler auf einem Fantasy-Server erst einmal kräftig verdutzt wäre, sähe er dort Schwerbehinderte, die den barrierefreien Zugang zur Dorfküche forderten.
Es ist ein Spiel der Erwartungen. Erwartet man klassische Fantasy, wird man über solche Char-Ideen erstmal stolpern und vielleicht auch das Gefühl entwickeln: "Das gehört nicht hierher."
Dann sehe ich auch einen gewissen Zündstoff in der Aktualität und "persönlichen Nähe" dieser Char-Konzepte zum Spieler selbst.
Lasse ich z.B. meinen Zwergen im Spiel herumlaufen und fröhlich schimpfen, er schneide allen verdammten Elfen, die ihm in die Quere kommen, die hässlichen Schmalzohren ab, ergäbe das vermutlich ein interessantes Chargeplänkel im Spiel und das ein oder andere Schmunzeln auf Spielerseite hinter den Kulissen. Niemand von uns ist ein Elf, die Medien berichten nicht von abgeschlagenen Ohren, es ist einfach eine abstrakte, nicht reale Idee in einer Geschichte.
Liefe jetzt aber ein Char durchs Spiel und riefe er schlage allen verdammten Niggern die wulstige Hackfresse ein - ich glaube dann lacht niemand mehr, obwohl es nur RP wäre. Im Gegensatz zu den Elfen kennen wir sehr wohl das Zusammenleben mit Angehörigen afrikanischer Kulturen und tagtäglich werden Migranten auf der Welt oder sogar vor unserer Haustür zusammengeschlagen. Es ist greifbares, reales Leid. Ebenso das Beispiel mit der Behinderung; Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Gebrechen sind Teil unserer Gesellschaft, wir sehen sie täglich und sei es nur der Blick über die Straße, im TV hören wir Dokus darüber welchen Einschränkungen sie ausgesetzt sind, welche Bedürfnisse sie haben, wie tapfer sie kämpfen, etc.
Wer so eine Figur spielt, muss damit rechnen, dass andere sein Konzept und sein Spiel auf Grundlage solcher Informationen und auch ihrer damit verbundenen Gefühle beurteilen. Er muss auch damit rechnen, dass Leute mit realen Behinderungen an dem Pc sitzen und vielleicht sehr unter diesen leiden, während sie gleichzeitig sehen wie andere sich derartige RP-Chars zum reinen Freizeitvergnügen im Spiel erstellen.
Je mehr Realismus ich in mein Charkonzept einfließen lasse, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, Berührungspunkte mit der Realität meiner Mitspieler zu treffen und somit die Grenze des Spiels aufzuweichen. Dann wird es schwierig, zumal Rollenspiele auch gern dazu genutzt werden, gerade diese Realität einmal hinter sich zu lassen.
Sollte man deshalb solche Charaktere gar nicht erst erstellen? Nein. Aber man sollte sich bewusst machen, dass die Thematik vermutlich viele Mitspieler auf die ein oder andere Weise berühren wird und sich u.U. Gesprächsbedarf ergibt.