Beitragvon Yilara » Do 22. Mai 2014, 13:48
Dies ist eine Geschichte, die mir mein Vater immer vor dem Einschlafen erzählte. Meinem Vater hat mein Onkel diese Geschichte erzählt, der sie wiederum von einem Vetter gehört hat, dessen Urgroßvater einen Freund hatte, dem dies tatsächlich geschehen ist.
Doch wie fange ich am besten an...? Ja, genau, alle guten Geschichten beginnen mit ,Es war einmal...‘, also:
Es war einmal ein wunderschöner Herbstmorgen, als ich mich aus dem Bett schälte um nach dem Vieh zu schauen. Alles war wie jeden Morgen, mein Weib erwachte zusammen mit mir und wir machten uns fertig für den Tag.
Doch weiter als bis zur Haustüre kam ich nicht... Ich streckte meine Hand aus um die Türklinke nach unten zu drücken, aber ... „NEEEEEIIIIIINN!“, mein gellender Schrei zerriss die morgendliche Stille. Ich griff ins Leere. Dort, wo eigentlich der Türgriff hätte sein sollen, war ein Loch, ein Brandloch um genau zu sein, die Ränder des Holzes schwelten noch leicht und sachter Rauch vermischte sich mit dem Morgennebel. Die Sache wäre vielleicht sogar lustig gewesen, wäre es nicht der fünfte Türgriff innerhalb von sechs Tagen gewesen! Vor unbändiger Wut verfärbte mein Gesicht sich tiefrot, während sich in meinem Kopf Gedanken um Gedanken überschlugen, auf der Suche nach einer Erklärung und vor allem auf der Suche nach dem Dieb. Wem könnte daran gelegen sein rechtschaffenen Bürgern die Türgriffe zu stehlen?! Mir fiel nur eine einzige Person ein: der Schmied.
Innerlich plusterte ich mich auf, machte mich in Gedanken größer und stärker, als ich es war, sammelte allen Mut und stapfte in Richtung Schmiede.
Dort angekommen blickte mich ein grimmig dreinschauender Riese von einem Schmied an. Plötzlich war aller Wille dahin und mir schien als wäre der Schmied mehr als nur eineinhalb Köpfe größer als ich.
„Ich wollte einen neuen Türknauf in Auftrag geben, ... bitte...“, piepste ich und meine Stimme war um einiges höher als sonst.
Die Augen des Schmieds wurden immer kleiner, so eng zog er die Augenbrauen zusammen, dass diese zu einem dicken haarigen Balken verschmolzen. Der Anblick zweier weiterer Bürger des Dorfes ließ ihn laut fluchen, vor allem, als diese ebenfalls kleinlaut neue Türgriffe bestellten.
„Andere Schmiede sind für ihre meisterhaften Schwerter bekannt“, polterte er. „Ich hingegen mache tagein tagaus nur Türklinken!“
Und wenigstens in dieser Disziplin hatte er die Schmiedekunst auf ein Meisterlevel gebracht. Kein Türgriff aus seiner Schmiede glich dem anderen. Denn irgendwie musste er sich ja auch weiterentwickeln. Immer nur diese einfachen, schlichten und langweiligen Griffe zu schmieden wäre auf Dauer reichlich öde.
In dem Moment wurde mir klar, dass der Schmied nichts mit den kuriosen Diebstählen zu tun hatte. Wer also dann? Das galt es nun herauszufinden.
Nachdem der Schmied den neuen Türgriff vorbei hatte bringen ließ und auch der Schreiner wieder die beiden verbrannten Bretter der Türe ersetzt hatte, stand es für mich fest: Das war das letzte Mal, dass ich den Türgriff würde ersetzen müssen!
In den darauffolgenden Nächten legte ich mich auf die Lauer.
Es war die dritte Nacht, die ich nun hinter der Eingangstüre verbrachte und es fiel mir nicht mehr so leicht wie die vergangenen Nächte, die Augen offen zu halten. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mehrere Male einnickte, bevor mich ein Klirren die Augen wieder öffnen ließ und jene sahen - zu meinem Entsetzen - ein Loch! Genau dort, wo zuvor noch der Türgriff gewesen war. Alle Müdigkeit war vergessen, viel von mir ab, als hätte sie niemals zuvor von mir Besitz ergriffen und ich stürmte zur kaputten Türe hinaus und sah gerade noch einen großen länglichlangen Schatten hinter dem Haus in den Wald verschwinden. Was auch immer es war, es hatte MEINEN Türgriff und genau den wollte ich wieder zurück haben! Und so nahm ich die Verfolgung auf.
Immer tiefer und tiefer in den Wald führte mich die Jagd. Das fahle Mondlicht ließ mich hin und wieder den Schatten des Übeltäters erspähen. Sonst war nichts zu sehen, oder gar zu hören. Noch nicht einmal ein Käuzchen gab einen Laut von sich.
Es dämmerte bereits, als der Wald ein abruptes Ende nahm und sich vor mir der erste Ausläufer des Berges auftat. Eine kahle, trostlose und zerklüftete Felswand. Und ein paar Schritte links von mir war etwas, das sich deutlich vom Rest der Felswand abhob, obwohl sie scheinbar versteckt zu liegen schien: eine Höhle.
In just diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich keinerlei Waffen oder ähnliches mit mir trug, und am Leib nichts weiter als mein Nachthemd. Sollte ich wirklich umkehren...? Nein! Jetzt war ich schon so weit gekommen, da würde ich jetzt keinen Rückzieher mehr machen, unbewaffnet oder Nachthemd... was soll‘s?
Lautlos schlich ich barfuß zum Eingang der Höhle, duckte mich mal hier und mal dort hinter einem Stein und lauschte. Alles blieb still. Das nahm ich als Zeichen und so trat ich vor den Eingang der Höhle, um in jenem Augenblick von einem lauten, ohrenbetäubenden Grollen wieder ein paar Schritte nach hinten geworfen zu werden.
„Oh, Besuch!“, erklang eine tiefe, grollende Stimme in meinem Kopf. Zu dem Eigentümer jener Stimme wird auch das Grollen gehört haben, denn der Klang ähnelte einander sehr.
Wie angewurzelt stand ich da, starrte auf das dunkle Loch direkt vor mir und wagte kaum zu atmen. Gut, ich traute mich vor Angst nicht zu atmen, wie gelähmt war ich und zitterte am ganzen Körper. Was hatte ich Idiot mir nur dabei gedacht? Jetzt hatte ich die Rechnung zu tragen.
„Tretet ein, tretet ein“, befahl mir die Stimme in meinem Kopf. Stimmen im Kopf... Nun glaubte ich gänzlich den Verstand zu verlieren. Doch noch immer rührte ich mich nicht von der Stelle. „Ihr sollt herein kommen!“, erhob sich nach einer Weile die Stimme wieder wie ein Donnergrollen in meinen Gedanken. Dieses Mal befehlend und fordernd, was mich dann endlich aus meiner Starre löste und mich in die Höhle eintreten ließ.
„Es ist schon lange her, dass ich das letzte Mal Besuch hatte“, verschaffte sich die dunkle Stimme erneut Zugang zu meinem Gedanken. „Kommt nur näher. Möchtet ihr vielleicht ein Tässchen Tee?“ Eine Frage, die mich verwirrt innehalten hielt. Ein Tässchen Tee? Und das von einem ... Drachen. Mir blieb der Mund offen stehen, als ich das große geschuppte Tier vor mir in einem großen Raum der Höhle liegen sah. Unter ihm jedoch lag nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, eine riesiger Goldschatz. Nein, dieser Grüne lag auf einem Berg von Türgriffen. Das kuriose Bild wurde von einer feinen Teetasse in seiner Klaue und einer Brille auf seiner langen Schuppenschnauze vervollständigt.
„Schaut Euch doch nur meinen einzigartigwundervollen Schatz an!“ Die goldenen Augen des Geschuppten leuchteten. „Dies hier ist eines meiner liebsten Exemplare“, erklärte er und hielt einen filigran gearbeiteten Türgriff in die Höhe. „Mit Goldverzierungen, habe ich von einem dicken rosa Fleischklops aus Übersee. Und dieser hier, ein fast perfektes Stück, vollkommen im Gleichgewicht. Jenen hier habe ich erst letzte Nacht gefunden, gar nicht weit von hier entfernt. In dieser Ansammlung von Stein- und Holzkisten findet man wirklich einzigartige Stücke!“
„Aber... das ist meiner...“, stammelte ich und verstummte, kaum dass die ernsten Augen wieder auf mir ruhten, bevor der Drache weiter seine Schätze zur Schau stellte und vollkommen in Lobpreisungen derer versank. Mich schien er bereits wieder vergessen zu haben.
Dies war meine Chance. Langsam schob ich mich rückwärts aus der Höhle hinaus und kaum, dass ich den Wald im Rücken hatte, drehte ich mich um und rannte nach Hause, als hätte ich einen wahnsinnig gewordenen Drachen im Nacken sitzen.
Noch im Nachthemd stattete ich dem Schmied einen Besuch ab. Dieser rollte bereits mit den Augen, kaum dass er mich auf sich zukommen sah. „Einen schlichten und einfachen Türgriff, eckig, so wie ein ganz normaler Türgriff, er soll schließen, einfach seinen Zweck erfüllen“, lautete meine Bestellung an diesem Morgen.
Dem Schmied konnte ich den Widerwillen ansehen, den Drang meine Bestellung in den Wind zu schlagen, sich zu weigern etwas derartiges zu fertigen. Doch auch er musste irgendwie überleben können.
Und siehe da, seitdem blieb die Türklinke da, wo sie sein sollte, so lange dieses Haus stand, konnte man morgens mit dem guten Stück die Türe öffnen.
Diese Geschichte wurde erzählt von Jonan Talger, weitergegeben und weitergetragen von Wilar Gersen, Lofred Gersen, Rod Merbert, und Jorg Tirell. Zu Pergament gebracht von Brendan Tirell.
Zuletzt geändert von
Yilara am Do 22. Mai 2014, 20:34, insgesamt 3-mal geändert.
Das Glück erreicht man nicht durch Wollen.
Es liegt verborgen in den Dingen um uns und darin, wie wir sie schätzen.